Berühren einer Wade im Schwimmbad: keine sexuelle Belästigung
Im Bereich des Sexualstrafrechts stellt sich immer wieder die Frage, ob ein Straftatbestand tatsächlich erfüllt ist. Denn: Nicht selten wird Anklage erhoben und im späteren Verlauf des Verfahrens festgestellt, dass der Straftatbestand im eigentlichen Sinne gar nicht erfüllt war. Besonders bei dem Straftatbestand der sexuellen Belästigung nach § 184i lassen sich eine Vielzahl solcher Fehlverurteilungen feststellen – So auch im vorliegenden Fall.
Wegen sexueller Belästigung gemäß § 184i Abs. 1, Abs. 3 StGB beantragte die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Angeschuldigten einen Strafbefehl bei dem Amtsgericht Stuttgart, weil dieser in einem Schwimmbad mit seinem Bein die Wade der Zeugin berührt und dabei sein Bein zwischen die Beine der Zeugin geschoben haben soll. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat sich der Angeschuldigte mit diesem Verhalten strafbar gemacht, da er eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt hat. Zu seiner Verteidigung führte der Angeschuldigte jedoch an, dass er sich mit seinem Freund im Sprudelbecken aufhielt und mit diesem tauchend „Fangen“ spielte und dabei versehentlich die Wade der Zeugin berührte.
Das Amtsgericht lehnte daraufhin den Antrag der Staatsanwaltschaft, einen Strafbefehl zu erlassen, durch Beschluss ab, da bereits der Tatbestand des § 184i StGB durch den vorgeworfenen Sachverhalt nicht verwirklicht sei. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde (§§ 408 Abs. 2 S. 2, 210 Abs. 2 StPO) ein. Aber letztlich bestätigte auch das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts.
Der Bundesgerichtshof (BGH) vertritt hierzu einen gemischt objektiv-subjektiven Auslegungsansatz, wonach das Tatbestandsmerkmal sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild als auch nach den Umständen des Einzelfalles sexuell bestimmt sein kann. Es ist folglich zu berücksichtigen, ob der Täter von sexuellen Absichten geleitet war. Somit liegt nach der Auslegung des BGH das Tatbestandsmerkmal in „sexuell bestimmter Weise“ nicht vor, insbesondere weil dem Angeschuldigten keine sexuelle Absicht von der Staatsanwaltschaft zu Last gelegt wird und dafür auch kein hinreichender Tatverdacht besteht. Vielmehr hat der Angeschuldigte die Zeugin ohne Absicht berührt.
Das Landgericht stellte deshalb fest, dass die Berührung in keinem sexuellen Zusammenhang stand und der Angeklagte somit nicht sexuell motiviert gehandelt hat. Die Berührung sei lediglich als Ärgernis oder Distanzlosigkeit zu werten. Der Strafbefehlsantrag wurde deshalb zu Recht vom Amtsgericht abgelehnt. Der Angeschuldigte kann nun mit der Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 II StPO rechnen.
LG Stuttgart, Beschluss v. 10.09.2019 – 3 Qs 17/19