Sexueller Missbrauch: Sachverständigengutachten bei „Aussage-gegen-Aussage“
Häufig werden in Strafverfahren Sachverständige bestellt, wenn die eigene Sachkunde eines Richters zur Beurteilung eines Sachverhalts nicht ausreicht. Dabei kann die Beteiligung eines Sachverständigen sowohl von dem Gericht und der Staatsanwaltschaft als auch von dem Beschuldigten beantragt werden. Aufgabe eines Sachverständigen ist es somit, das Gericht zu unterstützen, indem es sein Fachwissen zu bestimmten Disziplinen vermittelt.
Aufgrund der freien Beweiswürdigung des Gerichts ist dieses allerdings nicht dazu verpflichtet, dem Sachverständigen zu folgen. Vielmehr kann das Gericht von den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens auch abweichen. Dies bedarf dann jedoch einer hinreichenden Begründung. Wie die Urteilsgründe in solchen Fällen beschaffen sein müssen, beschäftigte den Bundesgerichtshof (BGH) auch in der vorliegenden erfolgreichen Revision.
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe, weil dieser nach Feststellungen des Gerichts sexuelle Handlungen an der zehnjährigen Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin ausführte. Da der Angeklagte die Tat bestritt, stützte das Gericht seine Überzeugung von der Täterschaft allein auf die Aussage der Geschädigten, die durch einen Tagebucheintrag gestützt wurde. Darüber hinaus beurteilte eine Sachverständige die Glaubhaftigkeit der Aussage des Mädchens. Abweichend von ihrem schriftlichen Gutachten verneinte die Sachverständige in ihrem mündlichen Gutachten in der Hauptverhandlung die Glaubwürdigkeit der Zeugin. Sie ging davon aus, dass die „Kuschelsituation“, die das Mädchen schilderte, in sexuelle Handlungen umgedeutet worden sind. Dieser Ansicht schloss sich das Gericht aber nicht an und begründete dies damit, dass die Angaben der Zeugin vor allem durch die Tagebucheintragungen und einen Brief an die Großmutter gestützt würden.
Diese Begründung reichte dem BGH hingegen nicht. Vielmehr müsse sich das Gericht mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu belegen, dass es über ein besseres Fachwissen verfügt. Zudem sind vom Gericht die Gesichtspunkte anzugeben, auf die es seine gegenteilige Ansicht stützt, um eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen. Diese Anforderungen hat das Landgericht in seinen Urteilsgründen jedoch nicht umgesetzt.
Das Gericht hätte zum einen die maßgeblichen Punkte des schriftlichen Gutachtens, dem sich das Gericht anschloss, darlegen müssen. Und zum anderen hätte sich das Gericht mit der Frage beschäftigen müssen, ob der Tagebucheintrag und der Brief nicht auch schon Ausdruck einer Umdeutung des Geschehens durch die Geschädigte sein könnten. Es wäre außerdem zu erörtern gewesen, welche Bedeutung die Sachverständige den schriftlichen Aufzeichnungen zugeschrieben hat.
Aus diesen Gründen hatte die Revision des Strafverteidigers des Angeklagten Erfolg und die Sache wird an eine andere Jugendschutzkammer verwiesen. Für den Angeklagten besteht nun die Chance, dass das Gericht auch zu dem Entschluss gelangt, dass die Aussage der Geschädigten nicht glaubhaft ist.
Bei der Verwertung von sachverständigen Gutachten kommt es häufig zu Rechtsfehlern durch die Gerichte. Hier ist es wichtig, dass für die Durchführung der Revision ein Revisionsexperte beauftragt wird, der sich sowohl im Sexualstrafrecht als auch im Revisionsrecht auskennt. Rechtsanwalt Dr. Böttner ist in beiden Gebieten seit mehr als fünfzehn Jahren tätig und berät Sie gerne bei Ihrer Revision im Sexualstrafrecht.
BGH Urteil v. 10.04.2019 – 2 StR 338/18